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Mittwoch, 25. Januar 2017

Der lange Weg zum kurzen Rock

ACHTUNG: dieser Post ist unfassbare 1751 Wörter lang geworden und nur für Leser mit Durchhaltevermögen und Zeit geeignet, alle anderen sollten sich vielleicht oder zunächst aufs Anschauen der Bilder beschränken !!!

Zum Beginn des Neuen Jahres hatte ich mir nur eines vorgenommen, keine guten Vorsätze zu fassen. Aber so ganz ohne Ziele für 2017 bin ich dann doch nicht ins Jahr gestartet. Eines dieser Ziele - die weniger an einen bestimmten Zeitraum, sondern an die Idee von persönlicher Entwicklung in kurz-, mittel- und langfristigen Instanzen geknüpft sind – ist das Nähen einer kleinen Garderobe.
Kleine Nähprojekte machen mir immer großen Spaß, außerdem sind sie relativ simpel und schnell zu gestalten und damit leicht in einen eng bemessenen Freizeitrahmen zu integrieren. Jedoch habe ich festgestellt, dass mir besonders die Handarbeiten am Herzen liegen, in die ich mehr Zeit investiere und die neben einem dekorativen Nutzen auch noch praktische Verwendung finden. Es ist schön ein paar selbst gemachte Topflappen in der Küche zu verwenden, ein selbst geschneidertes Kleidungsstück zu tragen ist eine noch viel freudigere Erfahrung. Ganz zu Schweigen von dem Ego-Streichler, den jedes Kompliment für das Kleidungsstück bedeutet.
Bislang habe ich mich selbst eher selten herausgefordert und immer nur Nähprojekte in Angriff genommen, von deren Erfolg ich wenigstens zu 70% überzeugt war. Das soll sich ab sofort ändern, die Herausforderungen sollen größer werden, die Schnitte komplexer oder gänzlich neu, der Faktor Unbekannt soll steigen und das Lernen von Techniken (und durch Fehlversuchen) im Fokus stehen.

Im vergangenen Jahr habe ich ja schon ein paar meiner Röcke gezeigt, den Klavierrock und den Sommerrock zur Aktion des MeMadeMittwoch. Und auch in diesem Jahr zeige ich euch als erstes einen selbst genähten Rock (okay, eigentlich sind es drei), aber ihr werdet sehen, die Ansprüche steigen und es soll nicht nur bei den Röcken bleiben. Auf meiner Wunschliste stehen Oberteile, Kleider und eine Hose. Heute aber zu Beginn noch einmal das Thema Rock.

Wer hier regelmäßig mitliest, der weiß um meine Recycle-Leidenschaft, ich mag es aus alten Stoffen etwas Neues zu gestalten, mir gefällt daran der ökologische und der ökonomische Aspekt, das ressourcenschonende Wiederverwerten und die geringe finanzielle Aufwendung. Oft bekomme ich Stoffe und ähnliche Materialien aus meinem Bekanntenkreis, ab und an gehe ich aber auch auf die Suche danach, in Second-Hand-Läden oder auf Flohmärkten. Vor einiger Zeit bin ich zufällig auf einen Laden gestoßen in dem für einen humanitären Zweck alle möglichen Waren angeboten wurden und dort ist mir ein besonders schönes Stück untergekommen, ein handgenähter Kilt aus einem qualitativ hochwertigem Wollstoff.



Ein Ausnahmefund und ein absolutes Schnäppchen bei einem Räumungsspreis von 2€ !
Der Kilt muss ein Damenkilt gewesen sein, der von einer erfahrenen Näherin hergestellt wurde. Indizien dafür sind die saubere Verarbeitung und vor allem die Arbeit die in das Faltenbild des Kilts geflossen ist. Es war gut zu erkennen (vgl. Bild unten), dass jede Falte durch absteppen sicher verankert wurde und so gelegt war, dass die zusätzliche Weite zwischen Taille und Hüfte gleichmäßig verteilt wurde. Bei günstigen Kilts oder bei Kilt inspirierten Röcken wird in der Regel die Reduktion der Weite einfach durch Abnäher erzielt, was signifikant weniger Arbeit, Zeit und Können in Anspruch nimmt.



Ein bisschen habe ich es bedauert, den schönen Kilt auseinander zu nehmen, aber er hätte mir so beim besten Willen nicht gepasst. Bevor ich aber den Nahtauftrenner bemühte, musste ich einfach wissen welchen Taillienumfang die frühere Besitzerin wohl gehabt haben mag, das Maßband verriet eine Taillienweite von 54 cm. (das entspricht glaube ich einer Größe XXS oder der Amerikanischen Size 00 !) Aufgrund der Kilt-Länge muss die Dame oder vielleicht war es ein junges Mädchen auch noch von elbenhafter Größe gewesen sein. Ich dagegen habe eher Hobbit-Maße.
Nach zweieinhalb Stunden waren alle Falten aufgetrennt, der Taillengürtel gelöst, die Accessoires entfernt und ich in Fädchen begraben. Danach ging der Stoff in die Handwäsche, da er aus mindestens 80 % Wolle besteht hieß das eiskaltes Wasser, wenig Waschmittel und unendlich viele Spülgänge. Ich arbeite und trage gerne Wollstoffe, aber Textilpflege bedeutet im Fall von Wolle immer Handarbeit und kalte Finger. Nach dem Antrocknen ging es mit dem Stoff direkt zum Bügelbrett, wo ich mit Bügeltuch und jeder Menge Dampf den Falten den Kampf ansagte.

Dann lag er da, der wunderschöne Stoff und wollte unbedingt zu neuem Leben erweckt werden. Aber ich wollte auf gar keinen Fall etwas daraus nähen, was ich nicht auch gerne und oft tragen würde, deshalb war schnell klar: erst muss noch der perfekte Schnitt zum Stoff gefunden werden. Nicht irgendeinen Schnitt sondern meinen eigenen, selbst konstruierten Schnitt. (Kann man an dieser Stelle den Größenwahn, deutlich genug herauslesen?)
Ich wollte einen Rock, der das Tartan-Muster gut zur Geltung kommen lässt, also schlicht ist und ohne viele Nähte auskommt. Das Muster sollte horizontal ununterbrochen verlaufen und auch in der Vertikalen nicht durch unglücklich positionierte Abnäher optisch verzerrt werden.
Um sparsam mit dem Stoff um zu gehen - vielleicht würde der restliche Stoff ja noch ausreichen um ein Accessoire zu nähen – war schnell klar, es sollte ein Bleistiftrock werden. Dieser sollte eng anliegen und damit eine Lücke in meiner Garderobe schließen, denn einen“ echter Sekretärinnen-Rock“ fehlt darin. Mir gefiel die Idee eines integrierten Tailliengürtels, wie der Kilt ihn ursprünglich auch hatte und um trotz eines engen Sitz uneingeschränkt laufen zu können sollte der Rock eine angeschnittene Gehfalte bekommen.

Da ich mir fast sicher war, was den Erfolg des ersten Schnittmusters anbelangte, suchte ich in meinem Stoffvorrat nach einem karierten Stoff und in meiner umfangreichen Link-Sammlung nach einer Anleitung zum konstruieren eines Rockschnitts. (Die ich hier nicht verlinke weil mich das Resultat nicht genügend überzeugen kann.) Wie man eine Gehfalte näht schlug ich bei Liselotte Kunder in „Schneidere selbst“ nach und legte einfach los.

Der Rock ist tragbar, könnte aber besser sein. Das Taillenband sitzt nicht eng genug und leider auch ein bisschen höher als meine natürliche Taille. Die Abnäher sind nicht schön positioniert und die Gehfalte ist bei der vorsichtigen gewählten Reduzierung der Rockbreite ohne wirkliche Funktion. Außerdem bedeutet eine angeschnittene Gehfalte einen erhöhten Stoffverbrauch, soll doch das Tartan-Muster möglichst ununterbrochen wirken. Gleiches gilt für den Reißverschluss, den ich bei dieser Variante im Rücken positioniert habe. Der Knopfverschluss in der Taille ist ebenso ein Detail, das mir für den Schotten-Stoff nicht gefällt.
(Mehr zu diesem Rock und auch dem zweiten, nachfolgenden Modell können die Ausdauernden unter euch in meinem gestrigen Post für den Creadienstag lesen.)


Bei meinem zweiten Schnittmuster habe ich mich weitgehend an die Konstruktionsangaben von Winifred Aldrich in „Metric pattern cutting for women's wear“ gehalten. Weil das Musterangleichen beim ersten Versuch schon erfolgreich war, kam für Rock Nr. 2 Ein Stoff ohne Muster in Frage. Den Reißverschluss habe ich in die Seite gelegt, die Abnäher sind deutlich besser positioniert und auf eine Gehfalte habe ich ganz verzichtet. Dafür ist der Rock gleich oben und unten ein Stück kürzer geworden. Um zu sehen wie mir ein Rock gefällt, der etwas tiefer als in Taillehöhe sitzt, habe ich die Taille einfach einen Zentimeter tiefer geschnitten, die Abnäher habe ich deshalb um die selbe Distanz nach unten verlängert, glaube aber nicht, dass sich durch diesen Schritt die Passform des Rocks wesentlich verändert hat. Weil ich zudem mit Stoffknappheit konfrontiert war, wurde der Rock ein Stück kürzer als sein Vorgänger. Die Reduktion der Rockweite zum Saum hin habe ich erhöht und darauf geachtet, dem angeschnittenen Saum genügend Weite zuzugeben.


Der Sitz ist wie beim erst Rock nicht Ideal, dieses mal macht der Rock mich durch seinen tiefen Sitz, fast auf dem Hüftknochen, ein bisschen Breiter als ich erscheinen oder sein möchte. Ist aber durchaus tragbar, besonders mit langem Pullover zum darüber Tragen. Außerdem kann am Saum immer noch an Weite weg genommen werden, ohne das ich beim Gehen signifikant eingeschränkt werde.


Nun hatte ich also einige Parameter für den idealen Schnitt getestet und war bereit ein letztes Mal Maß zu nehmen, Bleistift und Schneiderlineal (Eines der tollen Weihnachtsgeschenke.) einzusetzen und in den Kilt-Stoff zu schneiden.
Schnitt Nr. 3 wurde noch ein kleines Stückchen kürzer und zum Saum hin enger, als seine Vorgänger. Um heraus zu bekommen, wie der Stoff am Besten wirken würde und wie ich das Schnittmuster trotzdem ressourcenschonend Einsätzen könnte, habe ich eine ganze Ewigkeit hin und her überlegt. Ich bin mit dem Stoff vor den Spiegel gezogen und habe ihn probehalber angehalten, geschaut wie das Muster möglichst schmeichelhaft am Körper liegt, wo sich die Saumkante am Schönsten bricht und wie die Abnäher möglichst dezent im Mustersatz liegen. Einen Moment lang habe ich sogar darüber nachgedacht die markantesten Stofflinien auf die Schnittmusterteile zu übertragen, dann aber gemerkt wie ich mich schon wieder in die Sache verrannt habe. Nach einer Kaffeepause ging es mir besser und die Stoffteile wurden in schneller Folge einfach ausgeschnitten.
Das Zusammennähen verlief, dank der ausgiebigen Übung an den vorherigen Varianten, ganz simpel und schnell. Der Reißverschluss ließ ich in Windeseile von Hand einnähen und beim Saum hab ich (anders als zuvor) sogar auf eine einfache Maschinennäht zurückgegriffen. Der Rock ist in jägergrün gefüttert und kommt bislang auch ohne Haken und Öse zusätzlich zum Reißverschluss aus.






Mit meinem fertigen Rock bin ich ausgesprochen zufrieden, er sitzt nahezu perfekt, tut das was er soll und die kleinen Makel in der Verarbeitung sind nicht mal in meinen kritischen Augen einer detaillierten Benennung wert. Kein anderer meiner Röcke ist so kurz oder zeigt so genau meine Kurven. Fürs Büro ist er bestimmt nicht mehr schicklich, aber ich finde ihn in dieser Länge klasse. Gehen ist damit auch kein Problem, nur Klettern oder gar Laufen ist definitiv nicht ohne Probleme möglich. Kombinieren lässt er sich auch ganz gut, weshalb er schon mehrfach zum Einsatz kam und nun feste Bestandteil meiner Herbst-/Wintergarderobe ist.





Gleich beim ersten Ausgang mit dem Rock, bin ich auf das Tartan-Muster angesprochen worden. Um ehrlich zu sein habe ich mir bis dahin keine Gedanken über möglich „Clan“-Zugehörigkeit gemacht und konnte bislang auch nichts Sicheres in Erfahrung bringen. Dafür bin ich aber auf einen Schnappschuss aus der Fernsehserie Friends gestoßen:

Bildrechte gehören, wie die Serie und all ihre Figuren, Warner Bros. Entertainment

Jetzt heißt der Rock also Rachel und ich bin mir ziemlich sicher, dass es sich bei dem Karomuster nicht um ein eingetragenes oder geschütztes Geschmacksmuster handelt. Aber ich freue mich über Informationen oder Korrekturen, wenn jemand mehr weiß.

Gratulation an Alle, die es bis hier hin geschafft haben. Seid euch meines Dankes sicher und gönnt euch zur Erholung eine Tasse Tee. Und schaut noch unbedingt bei den anderen Teilnehmern des heutigen MeMadeMittwoch vorbei.

Lieben Gruß
Bis bald
Sophie


9 Kommentare:

  1. Hallo
    Der Tartan ist vom Stewart/stuart Clan und trägt die Bezeichnung Dress Stewart 1790.
    lg PeterSilie & CO

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    1. Hallo,
      ein großes Dankeschön für deine Recherche und die Information, ich bin deinem Hinweis gleich gefolgt und hab mich beim Scottish Register of Tartans über den Stewart /Stuart Tartan informiert. Beim genauen betrachten ist mir aber ein unterschied zwischen den eingetragenen Dress Tartans zu meinem Stoff aufgefallen. Die horizontal und vertikal verlaufenden blauen Linien sind durch einige weiße Fäden von den parallel verlaufenden schwarzen Linien getrennt. Der Unterschied ist klein aber vorhanden, ich bin mir nicht sicher ob man meinen Stoff also noch zum Stewart/Stuart Clan zählen kann. Rachels Rock dagegen scheint genau das von dir gefundene Tartan-Muster zu sein.
      Nochmal lieben Dank für deinen wirklich lieben und hilfreichen Beitrag. LG Sophie

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  2. Herzlichen Glückwunsch zu Deiner entzückenden Rachel! Sieht toll aus, Dein Rock!
    LG Sandra

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  3. Ein sehr schöner Rock! Ich habe zwar nicht den ganzen Post gelesen, aber doch das Meiste. Ich nähe viel mit Wollstoffen. Alle Stoffe (alle!!!) kommen vor dem Nähen in die Waschmaschine und werden mit 30 Grad gewaschen. Es ist noch nie etwas passiert, egal ob 100% Wolle oder 50%. Wolle ist ein sehr robuster Rohstoff, nur wenn er sehr locker verwebt ist muss man Vorsicht walten lassen - dann eignet sich der Stoff aber auch nicht für einen engen Rock. Wie auch immer, Dein Rachel-Rock ist sehr schön geworden. Was machst du mit den Resten vom Stoff? Muss ja noch einiges übrig sein, schließlich war das Original viel länger. LG Kuestensocke

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    1. Hallo Küstensocke,
      ich wasche meine Stoffe auch alle vor, aber meistens erst mit der Hand, so kann ich sehen wie der Stoff sich in der Maschine benehmen würde und wie viel Farbe ausblutet oder Fäden ausfransen. Bei Recycel-Stoffen bin ich sonst auch für Maschinenwäsche, damit wirklich alles aus den Fasern heraus gespült wird was dort nichts zu suchen hat. Aber ich habe einmal einen teuren Wollstoff in der Maschine ruiniert trotz schonendem Waschprogramm und niedriger Temperatur, das soll mir einfach nicht wieder passieren. Der restliche Stoff ist erst einmal zurück in den Vorrat gewandert, aber bei Gelegenheit nehme ich mir die Fransenborte zur Hand, aus ihr soll irgendwie ein Schal entsehen, nur wie genau ich das anstelle weiß ich noch nicht. LG Sophie

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  4. Eine tolle Rachel hast Du Dir genäht!

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  5. Liebe Sophie,
    der Rock ist toll geworden. Auch der Stoff gefällt mir. Der Preis ist wohl unschlagbar ;-))).
    Viele liebe Grüße
    Ursula

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  6. Die Mühe hat sich gelohnt! Sitzt perfekt und das schöne Karomuster kommt wunderbar zur Geltung.

    Liebe Grüße
    Julia

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